Die Neuen Auftraggeber von Eisenhüttenstadt

Auftraggeber*innen: Heike Gunkel, Pedro Gunkel, Anne Krapp, Sven Quenzel, Al Titzki, Andrea Titzki, Thomas Zimmermann


Auftrag: Wir wünschen uns ein verbindendes Element für Geschichte und Zukunft unserer Stadt. Das kann ein neuer Ort, ein Anlass für Versammlungen, gemeinsam verbrachte Zeit oder gemeinsame Handlungen sein.


Mediatorin: Lea Schleiffenbaum


Künstlerin: Lina Lapelytė


Zeitraum: 2024 fortlaufend


Programm: Tanz und Performance im Bürgerauftrag


Partner: Kulturstiftung des Bundes

Eisenhüttenstadt ist faszinierend – und viele Menschen kommen für einen Tagesausflug durch die beeindruckende Architektur der sozialistischen Musterstadt und um in vergangene DDR-Geschichte und -Ästhetik einzutauchen. Nostalgie funktioniert hier gut. Doch Eisenhüttenstadt ist mehr als ein Flächendenkmal. Die Neuen Auftraggeber von Eisenhüttenstadt finden: Für die hier lebenden Menschen und ihren Alltag braucht es nicht nur den Blick in die Vergangenheit, sondern vor allem eine Brücke in die Zukunft, damit es sich lohnt, zu bleiben. 

„Wozu helfen uns all die Symposien mit Menschen von außerhalb, die dann wieder weg sind?“

Aus dem Auftrag

Glaspavillon mit goldenem Rahmen und vorgezogenem Dach vor einem Plattenbau. Über der Glasfront des Pavillons steht in roten Buchstaben "Stahl-Hütte".

Die Neuen Auftraggeber von Eisenhüttenstadt

Stadtansicht Foto: Victoria Tomaschko
Straßenkreuzung mit einem fünfstöckigen Plattenbau mit dem Schriftzug "City Hotel Lunik". An der Fassade blättert großflächig der Putz ab. Eine Frau mit einem Rollator läuft vor einem roten Bus über die Kreuzung.

Die Neuen Auftraggeber von Eisenhüttenstadt

Stadtansicht Foto: Victoria Tomaschko
Drei Personen gehen auf einer Straße in Richtung von Wohngebäuden sozialistisch-klassizistischer Architektur.

Die Neuen Auftraggeber von Eisenhüttenstadt

Stadtansicht Foto: Victoria Tomaschko

Eisenhüttenstadt wurde Anfang der 1950er Jahre um das frisch errichtete Stahlwerk Eisenhüttenkombinat Ost erbaut. Die Stadt sollte allen Ansprüchen des täglichen Arbeiterlebens entsprechen und war ein städtebauliches Vorzeigeprojekt der DDR. Die Wohnkomplexe boten Kaufhalle, Kinderkrippe, Kindergarten, Schule, Konsum, Zeitungskiosk, Kulturhaus oder Jugendclub und Sport- und Freizeitangebote. Die Aufteilung und Struktur förderten das Miteinander und die leichte Erreichbarkeit. 

„Ich möchte wieder spontan abends weggehen und da dann auch Menschen treffen.“ 

Aus dem Auftrag

Ein Auftraggeber im karierten Hemd und die Mediatorin sitzen sich an einem Bartisch gegenüber. Der Auftraggeber hält einen Stift in der Hand. An der Wand im Hintergrund hängen Punkmusik-Plattencover und Poster

Die Neuen Auftraggeber von Eisenhüttenstadt

Auftraggeber Thomas Zimmermann bei der Auftragsunterzeichnung Foto: Victoria Tomaschko
Eine Frau mit kurzen blonden Haaren sitzt auf einer blauen Bank vor einer blauen Wand und schaut in die Kamera.

Die Neuen Auftraggeber von Eisenhüttenstadt

Auftraggeberin Heike Gunkel Foto: Victoria Tomaschko
Ein Mann unterschreibt ein Blatt Papier auf einem Holztisch

Die Neuen Auftraggeber von Eisenhüttenstadt

Auftraggeber Sven Quenzel bei der Auftragsunterzeichnung Foto: Victoria Tomaschko

Heute leben weniger als 25.000 Menschen in der Stadt, die einmal für 100.000 Einwohner*innen geplant wurde. Viele von ihnen haben die großen Veränderungen der Wende getragen und sind auch heute wieder mit den aktuellen Krisen und Herausforderungen konfrontiert. Die einen sind müde, immer weiterem Wandel zu begegnen und ziehen sich ins Private zurück. Andere – Menschen mit Ideen und Visionen für die Stadt – sehen sich heute oft mit Unverständnis, Desinteresse oder bürokratischen Hürden konfrontiert. Das Vertrauen und die Freude an Möglichkeiten der Mitgestaltung schwindet in einer Stadt, die einst mit und von den Händen der Bevölkerung gebaut wurde. Ein Gefühl der Entwertung und Musealisierung vergangener Errungenschaften teilen viele Anwohner*innen mit anderen Menschen in Ostdeutschland.

Die Neuen Auftraggeber von Eisenhüttenstadt wollen ein Bewusstsein für die städtebaulichen und auch die menschlichen Errungenschaften wecken, die in ihren Augen die Stadt geprägt haben. Sie wollen das, was einstmals gut gedacht und gut genutzt war, wieder in die Wahrnehmung rücken, um generationsübergreifend an Visionen für die Zukunft zu arbeiten – damit die Stadt funktionieren und auch wieder wachsen kann.

„Was wir hier brauchen, ist ein komplett neues Mindset.“ 

Aus dem Auftrag

Ein Mann in blauem Hemd und blauer Hose sitzt auf einer blauen Bank vor einer blauen Innenwand.

Die Neuen Auftraggeber von Eisenhüttenstadt

Pedro Gunkel, Auftraggeber Foto: Victoria Tomaschko
Zwei Frauen sitzen nebeneinander an einem Tisch. Sie schauen in die gleiche Richtung und lachen.

Die Neuen Auftraggeber von Eisenhüttenstadt

Auftraggeberinnen Andrea Titzki und Heike Gunkel Foto: Victoria Tomaschko
Eine Frau mit dunklen kurzen Haaren stützt ihr Kinn auf die Hand und schaut aufmerksam nach links. Vor ihr steht eine Sektflasche und ein Sektglas.

Die Neuen Auftraggeber von Eisenhüttenstadt

Anne Krapp, Auftraggeberin Foto: Victoria Tomaschko
Eine Person mit Brille und blondem Zopf sitzt vor einer blauen Innenwand und schaut direkt in die Kamera.

Die Neuen Auftraggeber von Eisenhüttenstadt

Al Titzki, Auftraggeber*in Foto: Victoria Tomaschko

Der Vorschlag von Mediatorin Lea Schleiffenbaum, die Künstlerin Lina Lapelytė für das Anliegen zu beauftragen, findet bei der Gruppe schnell Anklang. Nach einem persönlichen Treffen ist die Entscheidung der Gruppe für Lina Lapelytė gefallen – und die Künstlerin hat nun die Arbeit mit der Gruppe begonnen. 

Die international bekannte, in London und Vilnius lebende Künstlerin verbindet in ihren Kunstwerken Musik und Performance mit gesellschaftlichen Fragen. Ihre Arbeiten thematisieren oft Alltägliches, beschäftigen sich aber auch mit Nostalgie und der Rolle des Individuums in der Gemeinschaft. Ihr gelingt es, komplexe Inhalte in kraftvolle, zugängliche Erlebnisse zu übersetzen. Lina Lapelytės Arbeiten beziehen ausgebildete und nicht ausgebildete Performer*innen ein. Ihre Werke bewegen sich in einer großen Bandbreite an performativen und musikalischen Genres. Häufig steht gemeinsames Singen in Verbindung mit feinen Choreographien und funktionalen Architekturen im Zentrum. Aufführungsorte und Kontextbezogenheit der Arbeiten spielen ebenfalls eine wichtige Rolle. 

 

„Ich freue mich auf die Arbeit mit den Neuen Auftraggebern, weil so die Kunst ihrem Publikum begegnet, noch bevor sie entsteht.“

Lina Lapelytė

Drei Personen sitzen an einem Tisch mit Getränken in einem dunklen Barraum. Alle drei schauen in die gleiche Richtung und lachen.

Die Neuen Auftraggeber von Eisenhüttenstadt

Besuch der Künstlerin Lina Lapelytė (Mitte) in Eisenhüttenstadt Foto: Victoria Tomaschko
Fünf Personen in dicker Winterkleidung beugen sich über eine bronzene Miniatur-Stadtansicht. Eine Person zeigt mit dem Finger auf die Bronze und erklärt etwas.

Die Neuen Auftraggeber von Eisenhüttenstadt

Besuch der Künstlerin Lina Lapelytė (2. v.r.) in Eisenhüttenstadt Foto: Victoria Tomaschko

2019 gewann Lapelytė den Goldenen Löwen der Biennale di Venezia für Sun & Sea (Marina). Die Oper über Klimawandel und menschliche Verantwortung war gemeinsam mit mit Rugilė Barzdžiukaitė und Vaiva Grainytė inszeniert und erhielt internationale Anerkennung. Ihre Arbeiten waren außerdem in renommierten Institutionen und Festivals wie der BAM – Brooklyn Academy of Music in New York, der Bourse de Commerce – Pinault Collection in Paris, im Haus der Kunst in München, der Serpentine in London, dem Singapore International Festival of Arts, der Baltic Triennial in Tallinn, im Teatro Colón in Buenos Aires, im MOCA – Museum of Contemporary Art in Los Angeles und bei den Wiener Festwochen zu sehen.

Kommende Projekte umfassen unter anderem eine Performance an der Schirn Kunsthalle Frankfurt (März 2025), eine Einzelausstellung bei The Cosmic House in London und eine Performance im TR Warszawa in Warschau (beide April 2025), ein Künstler*innenstipendium am The Watermill Center in New York (Juli/August 2025) sowie ein Beitrag zur Performa Biennale in New York (November 2025).

 

Es geht den Auftraggeber*innen weniger um eine dauerhafte Veränderung im Außen der Stadt – vor allem im Inneren der Menschen vor Ort, in ihrer Wahrnehmung wollen sie etwas bewegen. Neue Orte könnten entstehen, neue Anlässe für Versammlungen oder gemeinsam verbrachte Zeit, neue gemeinsame Handlung. Lina Lapelytė, so die Hoffnung, soll neue Impulse nach Eisenhüttenstadt bringen und die Verbindung zwischen Kunst, Gemeinschaft und regionaler Kultur stärken.

Der frühere Anspruch einer „Idealstadt“ hatte in Eisenhüttenstadt falsche Erwartungen geweckt. Was die Neuen Auftraggeber von Eisenhüttenstadt wollen, ist eine lebendige Realstadt. Ohne nostalgische Grundstimmung, aber mit Respekt für das, was diese Stadt ausmacht.

„Das Kunstwerk selbst wird durch den Prozess geformt und hilft, aktuelle Herausforderungen zu verstehen, mit denen Gemeinschaften heute konfrontiert sind. Wege, wie unsere Visionen zusammenfinden – genau so etwas brauchen wir in der heutigen Zeit!“ 

Lina Lapelytė