Das Protokoll
der Neuen
Auftraggeber

Das Protokoll der Neuen Auftraggeber beschreibt die Rollen verschiedener Akteurinnen und Akteure und ihre jeweilige Verantwortung in einem gemeinsamen Prozess, der die Entstehung von Kunstwerken jedweder Art zum Ziel hat.

  • Dieses Protokoll eröffnet ausnahmslos jedem Menschen an jedem Ort der Zivilgesellschaft die Möglichkeit, allein oder im Zusammenschluss mit anderen Verantwortung für den Auftrag an eine Künstlerin oder einen Künstler zu übernehmen, ein Kunstwerk zu schaffen. Es obliegt dabei dem Auftraggeber, sich über die Notwendigkeit von Kunst klar zu werden und zu begründen, warum die Gemeinschaft in sie investieren soll.
  • Dieses Protokoll schlägt Künstlerinnen und Künstlern vor, Formen zu finden und zu gestalten, die ohne Einschränkungen auf die verschiedenste Art und Weise auf die Bedürfnisse der Gesellschaft antworten können – und damit eine Rollenverteilung zu akzeptieren, die das künstlerische Schaffen zu einer kollektiven und nicht allein zu einer privaten Verantwortung macht.
  • Den Mediatorinnen und Mediatoren, deren Aufgabe darin besteht, Kunstwerke und Öffentlichkeit miteinander zu verbinden, empfiehlt das Protokoll, das gleiche mit Menschen zu tun: Verbindungen zwischen der Künstlerin, dem Auftraggeber und allen anderen beteiligten Akteurinnen und Akteuren zu schaffen. Die Mediatorin oder der Mediator organisiert ihre Zusammenarbeit. Sie oder er bringt die erforderlichen Kenntnisse mit, um das richtige Medium und eine geeignete Künstlerin oder Künstler auszuwählen und verfügt über die notwendigen Fähigkeiten, um das Gelingen einer künstlerischen Produktion zu gewährleisten, die den Ansprüchen des Auftrags ebenso gerecht wird wie den gestalterischen Ambitionen.
  • Die Mediatorin oder der Mediator kann auch als öffentlicher Produzent auftreten und künstlerische Initiativen aufgreifen, wenn sie oder er der Meinung ist, dass diese sich einer zeitgenössischen Herausforderung stellen.
  • Das Protokoll schlägt den gewählten Volksvertretenden und den Verantwortlichen in privaten und öffentlichen Einrichtungen vor, in die Entwicklung einer „Initiativdemokratie“ zu investieren und die politische Vermittlung zu leisten, damit das Kunstwerk seinen Weg in die Gemeinschaft finden kann, für die es vorgesehen ist. Sie können auch persönlich die Verantwortung für einen Auftrag übernehmen, der auf ein kollektives Bedürfnis reagiert.
  • Das Protokoll schlägt Forscherinnen und Forschern unterschiedlicher Fachrichtungen vor, ihren Beitrag dazu zu leisten, dass die Notwendigkeit von Kunst deutlich wird, Aktivitäten in einem breiteren Zusammenhang betrachtet und ihre jeweiligen Umstände und Herausforderungen allgemein verständlich werden.

Indem alle Beteiligten darin übereinkommen, Verantwortung gemeinsam und gleichberechtigt zu übernehmen, erklären sie sich auch einverstanden, Spannungen und Konflikte, wie sie im öffentlichen Leben einer demokratischen Gemeinschaft notwendig entstehen, durch Verhandlungen miteinander zu lösen.

Das Kunstwerk — nunmehr selbst ein Akteur des öffentlichen Lebens — ist nicht länger nur Sinnbild künstlerischer Individualität, sondern Ausdruck des Willens autonomer Personen, ein Gemeinwesen zu bilden, indem sie der zeitgenössischen Kreativität kollektive Bedeutung verleihen.

Finanziert durch private und öffentliche Subventionen, wird das Kunstwerk zum Gemeinschaftseigentum. Sein Wert entspricht nicht mehr dem Marktwert, sondern liegt in dem Gebrauch, den die Gemeinschaft von ihm macht, und in der symbolischen Relevanz, die sie ihm beimisst.

François Hers, 1990