Die Neuen Auftraggeber von Rostock
Auftraggeber*innen: Mitglieder des Frauenkulturvereins Die Beginen e.V.
Mediatoren: Alexander Koch, Nikolaus Oberhuber
Künstlerin: Candice Breitz
Zeitraum: 2013–2016, angehalten
Partner: Fondation de France, Frauenkulturverein Die Beginen e.V.
„Wir beauftragen ein künstlerisches Projekt, das eine veränderte soziale Kultur im Leben der Stadt Rostock beispielhaft ins Werk setzen soll: Anstatt Bürgerinnen und Bürger, Migranten und Geflüchtete als bedürftig und abhängig zu betrachten, sollen sie in ihren Potenzialen und Möglichkeiten angesprochen werden. Das Werk soll über Rostock hinaus Relevanz besitzen und an verschiedenen Orten in der Region gezeigt werden können.“
Nach Recherchen in Rostock und mehreren Treffen mit den Auftraggeberinnen, hat Candice Breitz im Sommer und Herbst 2016 den Entwurf ihrer partizipativen Performance abgeschlossen und am 28. November in Rostock präsentiert. Die Auftraggeberinnen wollen das Werk in 2017/2018 an einem Theater in Mecklenburg-Vorpommern uraufführen und beauftragen die Produktion. Dafür werden derzeit Partner gesucht. Eine geplante Aufführung während der Berliner Festspiele 2016 erwies sich als verfrüht.
Der Rostocker Frauenkulturverein Die Beginen e.V. leistet eine engagierte Kulturarbeit und nimmt dabei Einfluss auf das öffentliche Leben der Stadt Rostock. Eine Gruppe von Mitgliedern beobachtet mit Unbehagen, dass Neuankömmlinge aus dem Ausland in der Stadt auf eine mangelnde Willkommenskultur stoßen. Sie wollen ein Projekt in Auftrag geben, das als positives Beispiel in die Stadtgesellschaft hineinwirkt.
Im Verlauf der Mediation wird deutlich, dass die Auftraggeberinnen selber von dem Problem betroffen sind, auch ohne Migrationshintergrund: Termine bei städtischen Behörden werden als Negativerlebnis oder gar als herabwürdigend empfunden. Zugleich vermutet die Gruppe, dass auch Verwaltungsangestellte nicht glücklich sein können mit der Art von Kommunikation, die ihren eigenen Arbeitsalltag prägt. So nimmt das Projekt die soziale Kultur in den Institutionen und Ämtern der Stadt Rostock in den Blick.
Die Auftraggeberinnen wünschen sich ein Theaterprojekt oder eine performative Arbeit, die an verschiedenen Orten in Rostock, aber auch andernorts in der Region aufgeführt werden kann, zum Beispiel auch in Schulen. Sie wünschen sich eine internationale Künstlerin mit Migrationserfahrung, die über die nötige Sensibilität verfügt, um eine geeignete Form für den Auftrag zu finden. Der Mediator Alexander Koch schlagt die in Südafrika geborene Videokünstlerin Candice Breitz vor, die in Berlin lebt. Breitz erlebte die Folgen des Apartheidregimes in Südafrika und hat in ihrem Werk eine populäre Sprache entwickelt, um Themen wie soziale Diskriminierung, Rassismus, Klassenunterschiede oder die Herabwürdigung von Frauen zu thematisieren. Die Rostockerinnen beauftragen Breitz mit einem Projektentwurf.
Die Künstlerin entwickelt ein Skript für eine mehrstufige performative Aktion, die jederzeit und an jedem Ort ausgeführt werden kann. Im Zentrum ihrer Idee steht die Sprache, und damit die Grenzen des gegenseitigen Sich-Verstehens. Breitz will auf amüsante Weise erfahrbar machen, wie Menschen mit und ohne Deutschkenntnisse auf das Glatteis des je eigenen Sprech(un)vermögens geraten können, um sich schließlich in einer Gemeinschaft wiederzufinden, in der niemand besser spricht als man selbst. Teilnehmende und Zuschauende sollen erleben können, wie gesprochene Worte zu Schriftzeichen werden, Texte zu Lautgedichten, Gehörtes zu Geschriebenem, wie sich Verstandenes in Unverständliches verwandelt, Begriffenes in Ungreifbares, und vice versa. Am Ende sollen alle Beteiligten in einen dadaistisch-grenzüberschreitenden Sprach(t)raum geraten, in dem jeder etwas und niemand alles versteht.