Die Neuen Auftraggeber von Pritzwalk
Auftraggeber*innen: Einwohner:innen von Pritzwalk
Mediator: Gerrit Gohlke
Künstler: Clegg & Guttmann
Zeitraum: 2011 – 2014
Partner: Ostdeutsche Sparkassenstiftung, Fondation de France, Stadt Pritzwalk, IHK Potsdam / Regional Center Prignitz, Stadtwerke Pritzwalk
DIE SIEBEN KÜNSTE VON PRITZWALK
Eine Gruppe von Brandenburger Bürgerinnen und Bürgern wünscht sich neues Leben im Zentrum ihrer Kleinstadt. Skulpturen sollen die verödende Altstadt von Pritzwalk wieder attraktiv machen und den um sich greifenden Ladenleerstand aufhalten.
„Solange meine geistigen Zellen in die richtige Richtung arbeiten, gebe ich mich nicht zufrieden. Ich will nicht in einer Geisterstadt alt werden.“
Christa Pfeifer, Unternehmensberaterin, Auftraggeberin
Die Künstler Clegg & Guttmann halten das für wenig realistisch und gehen einen ganz anderen, ungeahnten Weg. Mit einem Brief an alle 12.000 Haushalte rufen sie die Pritzwalkerinnen und Pritzwalker zu einem „Stadtporträt“ auf. Dabei wollen aber nicht Clegg & Guttmann als Porträtisten darüber entscheiden, welches Porträt entsteht – stattdessen soll in sieben leerstehenden Ladengeschäften gezeigt werden, was die Bürgerinnen und Bürger der Stadt selbst als Projekt vorschlagen. Vom professionellen Künstler bis zur technischen Angestellten ohne künstlerische Vorerfahrung, von der Schülerin bis zum Pensionär sind alle eingeladen, ihre Ideen einzusenden.
Dabei wird ausdrücklich auch die Mitwirkung der Menschen in Pritzwalk bei der Ausführung der Projekte verlangt. Das Risiko der Teilnahmslosigkeit wird zum Programm erhoben: Sollte niemand mitwirken, so Clegg & Guttmann, dann entstünde eben ein leeres Bild. Auch dieses wäre ein Porträt der Stadt, wenn auch ein trauriges.
Nach anfänglichen Prophezeiungen des Scheiterns gehen allen Zweifeln zum Trotz 72 Projektvorschläge ein, von denen die meisten im Sommer 2014 umgesetzt werden. Sie reichen von Ausstellungen bis zum Rap-Workshop, von der Bauchtanz-Soirée bis zur Einrichtung einer Kinder- und Jugendbibliothek oder der Produktion einer Filmdokumentation. So wird mit Die Sieben Künste von Pritzwalk die Innenstadt zu einem lebendigen Ort. Die Stadt nimmt sich selbst in Besitz und beweist sich auch, was in ihr steckt.
Der Auftrag ist ein beispielgebendes Projekt im Modell Neue Auftraggeber, das zeigt, wie in Deutschland Kunst im Bürgerauftrag Form annehmen kann. Durch das Projekt werden die beteiligten Pritzwalkerinnen und Pritzwalker während drei Monaten zu Pionieren in ihrer eigenen Stadt. Eineinhalb Autostunden vom nächsten Gegenwartskunstmuseum entfernt, verzichten Clegg & Guttmann auf alles, was ein Kunstprojekt den heutigen Kunstbetriebsgepflogenheiten nach auszeichnet. Der Auftrag ist außerhalb institutioneller Infrastrukturen umgesetzt, ohne eine nach außen gerichtete Öffentlichkeitsarbeit oder PR-wirksame Events. Der Handlungsort wird allein durch sieben von einem lokalen Zimmermann gefertigte skulpturale Holzrahmen markiert.
„Ich wohn in Pritzwalk – ist wohl Schicksal, hier geht einiges, wo früher nichts war, wir bringen gute Kunst nach Haus zu uns, bringen frische Farben, raus aus’m Dunst gegen Langeweile“
Aus dem „Pritzwalk-Song“, entstanden im Rahmen eines Rap- und Hiphop-Workshops für Jugendliche
Die nachhaltige Wirkung des Auftrags hält bis heute an. Aus dem Kreis der Projektteilnehmer gründet sich der Kunstverein Kunst Freunde Pritzwalk, inzwischen ein stetig wachsender Verein, der ein Jahr nach der Auftragsumsetzung zum Mieter in einem der Projekträume geworden ist – ein Modell möglicher künftiger Nutzungskonzepte in der Pritzwalker Innenstadt. Das Buch Die Sieben Künste von Pritzwalk veröffentlicht 2015 in einer Chronik, was die Stadt aus eigener Kraft hervorbringen kann. In einer weiteren Publikation, WIR – Geschichte einer Erfindung erzählen Menschen aus Pritzwalk in 2021 in Interviews über Engagement, das Schweigen nach der Wende und die Bedingungen für neuen Zusammenhalt.
Mit den Sieben Künsten von Pritzwalk haben sich die Menschen vor Ort den lange vermissten Anziehungspunkt selbst geschaffen und sind näher zusammengerückt.