Ein Praxisbericht

Sören Meschede, Koordinator Concomitentes, Spanien

Sören Meschede ist der Koordinator von Concomitentes. Mit Abschlüssen in Philosophie und Rechtswissenschaften und einem beruflichen Hintergrund im Journalismus, arbeitet er seit 2006 als Kulturmanager und Produzent in Spanien. In den letzten Jahren hat er vor allem mit Kunst im öffentlichen Raum und in kontextorientierten und relationalen Projekten gearbeitet. Ihn interessiert die kreative Seite des Kunstmanagements und Kunst, die es schafft, soziale und performative Elemente miteinander zu verbinden.

Für Im Auftrag – Kunst in Beziehung haben internationale Mediator*innen über die Bedeutung des Protokolls der Neuen Auftraggeber für Ihre Arbeit nachgedacht: Das Protokoll kann prinzipiell an jedem Ort der Welt in die Praxis umgesetzt werden, da es nichts weiter tut als eine Weise zu beschreiben, in der Menschen zusammenarbeiten können. Alle Entscheidungen werden dabei lokal von unabhängigen Akteuren getroffen. Zudem ermöglicht das Protokoll nicht nur Projekte der zeitgenössischen Kunst, sondern auch wissenschaftliche Forschungsaufträge, ebenso wie Theaterproduktionen, Musik, Architektur und vieles mehr.

Doch wie universell ist das Protokoll, das in europäischen Zusammenhängen, vor dem Hintergrund einer französischen Kulturpolitik um 1989 entstanden ist, tatsächlich? Wie wird es in verschiedenen Regionen Europas, aber auch in Kamerun, Kolumbien, dem Libanon und Tunesien interpretiert und gegebenenfalls adaptiert? Wie ändern unterschiedliche historische, kulturelle und politische Hintergründe die Perspektiven einer Kunst im Bürgerauftrag und die konkrete Arbeit von Mediator*innen? Können diese empfehlen, das Protokoll auch in Gesellschaften aufzugreifen, in denen es bislang keine Rolle spielt?

Über diese Fragen haben die Mediator*innen mit Blick auf ihre eigene Praxis nachgedacht. Ihre Texte erscheinen nun in dieser Reihe.

Wir müssen reden

In Spanien ist das Protokoll der Neuen Auftraggeber seit nunmehr zehn Jahren in Verwendung. In der ersten Zeit und unter dem Namen Nuevos Comanditarios, wurden vier Projekte im Baskenland durchgeführt. 2017 dann fragte die Daniel und Nina Carasso-Stiftung fünf Kurator*innen und Kulturmanager*innen, ob sie unter ihrer Schirmherrschaft ein spanisches Netzwerk der Neuen Auftraggeber gründen wollten. Seit 2018 arbeitet der zu diesem Zweck gegründete Verein Concomitentes, der aktuell aus Veronica Valentini, Julia Morandeira Arrizabalaga, Felipe González Gil, Fran Quiroga und mir, Sören Meschede, besteht, an vier Pilotprojekten in Galizien, Madrid, Katalonien und Teneriffa und versucht parallel, die Initiative auf nationaler Ebene zu konsolidieren.

Concomitentes ist ein Kunstwort, das sich aus „Con“ [mit] und „comitente“ [der Auftraggeber] zusammensetzt. Obwohl phonetisch gewöhnungsbedürftig, glauben wir, dass diese Wortschöpfung zwei Elemente betont, die das Protokoll der Neuen Auftraggeber für uns so speziell machen. Das Wort „con“ zeigt, dass wir es als unsere Aufgabe verstehen, zusammen mit den Auftraggeber*innen an ihren Projekten zu arbeiten. Und mit „Comitentes“ wollten wir an ein Gemeinschaftsgefühl appellieren, das sich nicht so sehr aus der gemeinsamen Wertschöpfung herleitet, sondern eher einen Wunsch nach sozialer Nähe zum Ausdruck bringt. „Comanditario“, die naheliegende Übersetzung, ist ein feststehender Begriff des Vertragsrechts, wohingegen sich „Comitente“ aus dem lateinischen „committere“ ableitet, das mit anvertrauen, zustande bringen, überlassen übersetzt werden kann.

Wir sind damit von der bisher üblichen Nomenklatur abgewichen, auf der die französische, die deutsche und die englische Namensgebung beruhen. Sind wir mit dieser neuen Wortschöpfung auch von Hers‘ Protokoll abgeschwenkt? Nein, sicherlich nicht. Wir haben es lediglich angepasst, um so einen Aspekt, der uns besonders wichtig erscheint, besser kommunizieren zu können.

In diesem Sinne glauben wir durchaus, dass das Protokoll der Neuen Auftraggeber universell eingesetzt werden kann, allein schon deshalb, weil sein Verfasser kein Dogmatiker ist und der Text mit einem gewissen Interpretationsspielraum gelesen werden kann. Der Anspruch relationaler Kunst eine maßgeschneiderte Antwort für jeden Kontext zu finden, würde ehrlich gesagt auch nicht zu rigiden Protokollen passen. Denn dort, wo ohne viel Federlesens ein Konzept von einem Kontext auf einen anderen übertragen wird, nehmen die Diskussionen über die universelle Übertragbarkeit von bestimmten Methoden meist ihren Anfang. Mehr als ein Protokoll ist Hers‘ Text daher auch eher der Versuch zu verstehen, gewisse Rahmenbedingungen zu schaffen, die dazu beitragen, dass künstlerische Projekte im sozialen Raum eine bestmögliche Akzeptanz erreichen.

Relationale Kunst bespielt oftmals Themenfelder und soziale Konstellationen, die so oder so ähnlich auch an anderen Orten existieren könnten. Schon allein um nicht ständig von Neuem das Rad erfinden zu müssen, ist es daher durchaus eine lohnenswerte Idee, sich zu überlegen, wie man ein Konzept von einem Kontext auf den anderen übertragen kann. Wie man ein Element in einen neuen Kontext einführt, hat uns die Globalisierung vorgemacht. Grob gesagt, gibt es zwei Möglichkeiten: Man entwickelt entweder einen künstlichen Raum, der, weil vollkommen autark, in jeder beliebigen Umgebung existieren kann. Gemäß diesem Prinzip funktionieren Botschaften, Franchise-Hamburgerbratereien oder Flagship-Stores. Oder, etwas subtiler, man passt das Produkt dem Raum an, indem man es auf seine grundsätzlichen Bestandteile – auf seinen Markenkern – reduziert.

Wie gut dieses erste der beiden Konzepte auch in der Kunst funktionieren kann, zeigt das Austellungsformat des White Cube. Elena Filipovic beschreibt in ihrem Artikel „The Global White Cube“ 1 anschaulich, wie diese neutrale Projektionsfläche die Vorrausetzungen dafür geschaffen hat, dass so etwas wie eine globalisierte Kunst entstehen konnte. Der Grund, warum relationale Kunst oftmals nicht in den klassischen Ausstellungsbetrieb passt, dort aseptisch und unverständlich wirkt, liegt genau darin, dass sie nicht für diesen künstlichen Raum gemacht wurde. Um tatsächlich verstanden zu werden, fehlt ihr der zeitliche und räumliche Zusammenhang, auf den sie sich bezieht und aus dem sie ihre Berechtigung gewinnt. Um kontextbezogene Kunst an einem anderen Ort oder in einem anderen Moment zu replizieren, kommt daher nur in Frage, die originale Initiative auf ihre grundsätzlichen Bestandteile zu reduzieren, um sie dann vor Ort wieder mit Leben zu füllen.

In den letzten Jahren hat es neben dem Modell Neue Auftraggeber eine weitere interessante Initiative gegeben, den Verein Arte Útil. 2

Obwohl beide Methoden in ihrer Analyse übereinstimmen, ist ihr Lösungsansatz sehr unterschiedlich: Arte Útil identifiziert bereits realisierte Kunstprojekte, die er als potentiell gesellschaftlich nützlich erachtet, stellt diese als Fallstudien vor, zeigt die ihnen zugrunde liegende Methodik auf und stellt diese potentiellen Nachahmer*innen zur Verfügung, die sie dann in ihren lokalen (und auch kunstfernen) Kontexten anwenden können. Künstler*innen werden zu Initiator*innen, Betrachter*innen zu Nutzer*innen und Kunst zu einem Mittel für einen höheren gesellschaftlichen Zweck. Tania Bruguera ist dabei explizit in ihrer Idee, dass als Arte Útil nur solche Kunst gelten kann, die einen praktischen Nutzen hat. „Arte Útil wandelt Affekt in Effektivität. Scheitern ist keine Option. Wenn ein Projekt scheitert, ist es nicht Arte Útil.“ 3

Neue Auftraggeber geht den umgekehrten Weg. Der Ausgangspunkt ist nicht ein bereits bestehendes Werk wie bei Arte Útil, sondern eine Handlungsanweisung, die beschreibt, wie Bürger*innen und Künstler*innen mit Hilfe eines Dritten, der Mediatorin oder dem Mediator, neue Arbeiten kreieren können, die in direktem Bezug zu ihren Auftraggeber*innen stehen. Das große Potenzial der Neuen Auftraggeber ist, dass das Protokoll erst einmal erstaunlich banal klingt. Es scheint nicht viel mehr von den Beteiligten zu verlangen, als ihre angestammte Rolle auszufüllen, wobei sie den oftmals schwierigen Part, die Mediation, an eine dritte Person auslagert. Künstler*innen können so erst einmal Künstler*innen bleiben und die Auftraggeber*innen müssen laut Protokoll tatsächlich nicht mehr machen als das: einen Auftrag geben um dann das fertige Produkt in Empfang zu nehmen. Hers' Text appelliert so an die Bequemlichkeit und spricht daher auch Bevölkerungsgruppen und Künstler*innen an, die normalerweise um relationale Kunst einen großen Bogen machen würden. Hat sich aber erst einmal eine Gruppe von Auftraggeber*innen konstituiert, beginnt der eigentliche, unausgesprochene Teil der Arbeit: Das geplante Kunstwerk dient als Projektionsfläche, es schafft einen neuen Raum, der einen Dialog zwischen den beteiligten Akteur*innen ermöglicht und der – würden sie sich über konkrete Probleme unterhalten – vielleicht unmöglich wäre. Bislang unbekannte Menschen kommen zusammen, etablierte Hierarchien werden hinterfragt und die Zusammenarbeit mit den Künstler*innen gibt allen Beteiligten die Möglichkeit, ihre Situation und ihre Beziehungen aus einem neuen Blickwinkel zu sehen. Die reduzierte Handlungsanweisung ist so gesehen Türöffner für einen oftmals so dringend benötigten Austausch zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen. In diesem sozialen Aspekt liegt für mich der wahre Wert des Protokolls von Hers. Denn selbst wenn das Kunstwerk nicht zustande kommen sollte, wäre das nicht notwendigerweise als ein Scheitern des Projekts zu sehen. Man kann nie vorhersagen, in welche Richtung sich ein Projekt der Neuen Auftraggeber entwickelt und ob es nicht auf einer völlig anderen Ebene einen Wert generiert, der von den Beteiligten auch als solcher anerkannt wird. Denn es ist an den Beteiligten, zu entscheiden, welchen Nutzen sie aus ihrem gemeinsamen Projekt ziehen wollen: Nichts muss, aber Vieles kann geschehen.

Genauso wie es den Auftraggeber*innen und Künstler*innen in den jeweiligen Projekten überlassen bleibt, aus der abstrakten Methode eine konkrete Zusammenarbeit zu entwickeln, ist es aber auch wichtig, den Diskurs solcher Handlungsanweisungen historisch und politisch zu verorten und immer wieder zu hinterfragen. Zum Beispiel existiert das in Frankreich etablierte bürgerliche Selbstverständnis, auf das der Diskurs der Nouveaux Commanditaires in Belgien und Frankreich stark aufbaut, nicht in dieser Weise in Spanien. Würde Concomitentes die französischen Texte direkt übernehmen, bestünde die Gefahr, dass es als elitäre Initiative verstanden werden könnte, in der Werte und Bildung nur von einer begrenzten Anzahl von Berechtigten kollektiv geteilt werden. Auch ist es wichtig, die in gewisser Weise paternalistische Machtvielfalt der Mediator*innen, die für Hers der Dreh- und Angelpunkt der Projekte sind, historisch zu verorten und entsprechend zu interpretieren.

Speziell in diesem Punkt ist es entscheidend, uns den undogmatischen Umgang von Hers mit seinem Protokoll auch in unserem Umgang mit den Auftraggeber*innen und Künster*innen zum Beispiel zu nehmen. Denn auch wenn das Protokoll der Neuen Auftraggeber als eine maximal neutrale Handlungsanweisung verstanden werden kann, so bedeutet das nicht automatisch, das wir Organisationen und Mediator*innen uns ebenfalls wertneutral verhalten, wenn wir mit den Auftraggeber*innen an seiner Umsetzung arbeiten. Wir alle haben eine klare Vorstellung davon, warum wir mit dieser Methode arbeiten wollen und sind daher – auch wenn wir glauben, es zu sein – keine neutralen Makler. Das muss kein Makel sein, wenn wir uns dieses Umstands nur bewusst sind und wenn wir es schaffen, unsere eigene Position so zu kommunizieren, dass sie als solche verstanden und hinterfragt werden kann.

1 Elena Filipovic, The Global White Cube, OnCurating 22, April 2014, OnCurating, Zürich, pp.45-63 online: www.on-curating.org/issue-22-43/the-global-white-cube.html
2 www.arte-util.org/about/colophon/
3 Tania Bruguera, Reflexiones sobre el Arte Útil, en: Pablo Martínez y Yayo Aznar (eds.) ARTE ACTUAL: Lecturas para un espectador inquieto. CA2M, Madrid, 2012. pp. 194- 197 online: www.taniabruguera.com/cms/files/reflexiones_sobre_el_arte_util_-_eng_1.pdf