Ein Praxisbericht
Germain Loumpet
Für Im Auftrag – Kunst in Beziehung haben internationale Mediator*innen über die Bedeutung des Protokolls der Neuen Auftraggeber für Ihre Arbeit nachgedacht: Das Protokoll kann prinzipiell an jedem Ort der Welt in die Praxis umgesetzt werden, da es nichts weiter tut als eine Weise zu beschreiben, in der Menschen zusammenarbeiten können. Alle Entscheidungen werden dabei lokal von unabhängigen Akteuren getroffen. Zudem ermöglicht das Protokoll nicht nur Projekte der zeitgenössischen Kunst, sondern auch wissenschaftliche Forschungsaufträge, ebenso wie Theaterproduktionen, Musik, Architektur und vieles mehr.
Doch wie universell ist das Protokoll, das in europäischen Zusammenhängen, vor dem Hintergrund einer französischen Kulturpolitik um 1989 entstanden ist, tatsächlich? Wie wird es in verschiedenen Regionen Europas, aber auch in Kamerun, Kolumbien, dem Libanon und Tunesien interpretiert und gegebenenfalls adaptiert? Wie ändern unterschiedliche historische, kulturelle und politische Hintergründe die Perspektiven einer Kunst im Bürgerauftrag und die konkrete Arbeit von Mediator*innen? Können diese empfehlen, das Protokoll auch in Gesellschaften aufzugreifen, in denen es bislang keine Rolle spielt?
Über diese Fragen haben die Mediator*innen mit Blick auf ihre eigene Praxis nachgedacht. Ihre Texte erscheinen nun als Teil dieser Reihe.
Das Protokoll der Neuen Auftraggeber in Kamerun, eine Erfahrung der Universalität
Als ich 2014 zum ersten Mal die Absicht ins Auge fasste, das 1991 von François Hers entwickelte Programm der Neuen Auftraggeber in Kamerun einzuführen, stieß ich bei fast allen meinen Gesprächspartner*innen auf ratloses Erstaunen. Das Konzept war mir von Alexander Koch vorgestellt worden, dem deutschen Leiter des Programms, und zwar auf Empfehlung von Dr. Irene Bark, der damaligen Direktorin des Goethe-Instituts in Yaoundé. Von den meisten wurde es sofort als spezifisch für den europäischen Raum wahrgenommen, wo es auch entstanden war. Es entspricht weder den lokalen Gepflogenheiten kultureller Produktion, noch den Vorstellungen von der Aufgabe der Kunst in einem Umfeld, das von beständigem gesellschaftlichem Wandel geprägt ist.
Dieser offensichtliche Mangel an Begeisterung seitens meiner Gesprächspartner*innen schien jedoch nicht daher zu rühren, dass hier die einfachen Bürger*innen anstelle der herkömmlichen Träger*innen öffentlicher, klerikaler oder finanzieller Macht zu Mäzen*innen und Förder*innen von Kunstwerken im öffentlichen Raum gemacht werden, sondern von der Frage der materiellen und effektiven Umsetzung eines derartig revolutionären Modells. In erster Linie ging es um eine komplexere Problematik, nämlich die Nutzung des öffentlichen Raums im Rahmen der Ausübung der Bürgerrechte.
In Kamerun wie auch sonst in Afrika sind öffentliche Plätze voll von Denkmälern und Kunstwerken, die bis vor Kurzem weder Anlass zu Fragen noch zu Diskussionen gaben. Erst vor wenigen Jahren, als die Frage nach der Rückgabe von Kulturgütern in westlichen Institutionen an Afrika aufkam, wurden die meisten kolonialen Statuen abgebaut. Bis dahin waren sie einfach Teil der Ordnung der Dinge gewesen – einer Ordnung, die die öffentliche Hand mit ihrer exorbitanten und willkürlichen Souveränität dem Blick der allgemeinen und anonymen Menge auferlegte.
Neue Kunst im Auftrag von Bürger*innen würde hingegen eine neue Ordnung beschwören, in der Staatsbürgerschaft in ihrer ganzen Fülle zum Tragen käme. François Hers schreibt: „Mir wurde schließlich klar, dass es jetzt an der Gesellschaft selbst lag, Verantwortung zu übernehmen. Dass es an ihren Mitgliedern selbst lag, die Rolle des Zuschauenden oder des von der Geschichte Ausgeschlossenen zu verlassen, um ebenso entscheidende Akteur*innen zu werden, wie die Künstler*innen es waren.“ Allein diese Aussage klang bereits wie die Proklamation der Universalität des Protokolls der Neuen Auftraggeber. Ich fühlte mich sofort angesprochen, da ich aufgrund langjähriger Erfahrung in künstlerischen und kulturellen Kreisen in Kamerun die Bedeutung dieses neuen Angebots ermessen konnte.
Ich war überzeugt, dass wir es dabei zunächst einmal mit theoretischen statt praktischen Fragen zu tun hatten. Also war es notwendig, sie auch theoretisch zu beantworten und die Debatte über Kunst in einem spezifischen historischen Rahmen zu eröffnen. Aus diesem Grund habe ich meinerseits einen Text verfasst, der Fragen rund um die Vielfalt des Zusammenlebens an den Schnittstellen und nach den Möglichkeiten des Ausdrucks individueller und kollektiver Sehnsüchte in Raum und Zeit stellte.
Ich habe „soziale Situationen" definiert – Kontexte, die aufgrund einer Reihe von Entwicklungen, historischen und aktuellen Kontingenzen experimentelle Projekte begünstigen. Diese Methode ermöglicht es, durch die Hervorhebung von Verbindungen, die in die Zeit eingeschrieben sind, die Relevanz spezifischer Fragen zu bewerten, die sich bei der Annäherung an einen Kulturraum ergeben, etwa bei der Erschließung horizontaler Beziehungen wie dem urbanen Mosaik eines Stadtviertels sowie der sozialen Querverbindungen angesichts variabler, dominanter soziokultureller Strömungen in der Dichotomie von Stadt und Land und deren unterschiedlichen Ausdrucksformen.
Soziale Situationen formen eine Gemeinschaft und sind miteinander verwoben. Durch individuelles oder kollektives Handeln muss die unsichtbare metaphysische Verbindung, die die Menschheit vereint, aktiviert und neu geknüpft werden.
Die Gemeinschaft der Baka wurde wegen der Marginalisierung, der sie ausgesetzt ist, und der besonderen Lebensweise, die sie auszeichnet, im Rahmen eines Pilotprojekts zur Erprobung des Protokolls angesprochen und für eine Zusammenarbeit gewonnen. (Da der Auftrag der Baka im Kern darin bestand, die Transformation ihrer Lebensweise selbst gestalten zu wollen, wurde, abweichend von der üblichen Praxis, darauf verzichtet, externe Künstler*innen oder Architekt*innen in das Projekt zu holen. Anm. d. Red.)
Die Baka-Gemeinschaft von Bifolone im Biosphärenreservat Dja hatte den Wunsch nach der Entstehung symbolischer Werke geäußert, die zum einen ihre Außenwahrnehmung verändern und die Vorurteile ihnen gegenüber abbauen, zum anderen ihren Übergang zu einer neuen Lebensweise zum Ausdruck bringen sollten. Denn das Nomadenvolk der Baka musste sesshaft werden, nachdem sein natürlicher Lebensraum unter Naturschutz gestellt worden war. Dieser fundamentale Wandel sollte in Form moderner Bauten gestaltet werden. So entstand in Bifolone ein zentrales Hauptgebäude aus Lehm und Ziegeln, der große Mungulu, inspiriert von der Bauweise der traditionellen Hütten. Er ist 30 Meter lang und neun Meter breit und beherbergt einen Gemeinschaftsraum und einen Ausstellungssaal.
In Anpassung an die neue Lebensweise, bei der das botanische Wissen der Baka verloren zu gehen droht, entstand vor Ort ein Botanischer Garten, ein geschütztes Gebiet aus Mikrobiotopen in einem Radius von 12 bis 14 Kilometern, das mit Wegführungen und Erklärtafeln versehen ist.
Das nach dem Modell eines Ökosystems in vivo und in situ konzipierte Naturschutzgebiet soll nicht nur ein Ort des Lernens und Wissens über die Interaktion zwischen Mensch und Umwelt sein, sondern auch Lebensraum für die Baka selbst.
Schließlich wurde ein fast ein Hektar großer Platz durch Erdarbeiten geschaffen und mit einem Podium für Aufführungen und Aktivitäten im Freien ausgestattet.
Ein weiteres Projekt läuft derzeit in einer Gemeinschaft in Foumban im Westen Kameruns. Die Frauen der Gemeinde, die als Töpferinnen arbeiten, und ihre Männer, die den Verkauf der Waren unternehmen, und einige der wichtigsten Akteur*innen des Ortes äußerten das Bedürfnis, mehr über die Vielfalt aktueller zeitgenössischer keramischer Praktiken weltweit zu erfahren und neue Techniken, Formen und Dekors zu studieren, um diese vor dem Hintergrund der eigenen Praxis zu betrachten und so möglicherweise Anregungen für eine eigene, autonome Weiterentwicklung ihres Handwerks zu erhalten. Auftragsgegenstand ist eine Ausstellung über traditionelles und modernes Töpfereihandwerk, die lokalen Aussteller*innen, insbesondere aus den Zentren im Grasland, eine Plattform bieten soll.
Projekte wie diese haben positive Auswirkungen auf die lokale Bevölkerung und weit darüber hinaus. Sie stärken soziale Bindungen und beweisen, dass das Protokoll der Neuen Auftraggeber in einer Vielzahl von kulturellen Kontexten angewendet und an so unterschiedliche Bereiche wie Kunst, Wissenschaft und Kulturerbe angepasst werden kann.
All diese Projekte wurden in erster Linie durch die Unterstützung der Fondation de France und ihrer Spender*innen sowie des Goethe-Instituts von Yaoundé ermöglicht.
Germain Loumpet ist internationaler Anthropologe und Archäologe zwischen Yaoundé (Kamerun) und Paris. Er entwickelte das National Museum of Cameroon, das Bamun Palace Museum und diverse weitere Institutionen in Kamerun und Mali. Er begründete das Kulturminsterium in Yaoundé. 2014 begann er als Mediator das erste Neue Auftraggeber-Projekt auf dem afrikanischen Kontinent im Auftrag der Baka-Pygmäengemeinschaft von Bifolone. Loumpet gründete den Verein Les Nouveaux Commanditaires du Cameroun.