ÜBER KUNST IM BÜRGERAUFTRAG
Lange konnten nur wenige Privilegierte ein Kunstwerk in Auftrag geben. Neue Auftraggeber ist ein innovatives Modell für Kunst im Bürgerauftrag, mit dem alle das können. Bürgerschaftliche Gruppen ergreifen als Neue Auftraggeber die Initiative und stoßen gemeinnützige, öffentliche Kunstprojekte an. Sie beauftragen internationale Künstlerinnen und Künstler aller Disziplinen wie Sasha Waltz, Simon Denny oder Rimini Protokoll, ihren drängenden Anliegen mit künstlerischen Werken Sichtbarkeit zu verleihen. So entstehen neue Perspektiven und Dynamiken dort, wo sich etwas bewegen soll, wo Ungesagtes nach Ausdruck verlangt, wo Wünsche nach einer Form suchen.
Begleitet werden die Auftraggebergruppen von Mediatorinnen und Mediatoren mit Erfahrung und praktischem Know-How im Umgang mit den zeitgenössischen Künsten. Sie setzen das Modell deutschlandweit mit Trägern aus Kultur und Politik sowie öffentlichen und privaten Förderern um und passen es den lokalen Bedürfnissen an. Dabei stehen sie im Austausch mit Partnern in Europa, die insgesamt bereits über 500 bürgerschaftliche Aufträge begleitet haben.
Wer wir sind
In Deutschland wird Kunst im Bürgerauftrag nach dem Modell Neuen Auftraggeber durch die Gesellschaft der Neuen Auftraggeber gGmbH und die Gesellschaft für Kunst und Mediation im Bürgerauftrag e.V. vertreten. Beide Organisationen arbeiten eng zusammen und sind Teil eines breiten internationalen Netzwerks.
Die Gesellschaft der Neuen Auftraggeber berät und unterstützt als gemeinnützige GmbH Kommunen, Kulturinstitutionen, Landkreise und alle, die an der Umsetzung des Modells in ihrer Region interessiert sind. Sie setzt darüber hinaus eigene Programme auf und steuert überregionale Aufgaben und Partnerschaften. Die Gesellschaft für Kunst und Mediation im Bürgerauftrag e.V. vertritt die Interessen der in Deutschland tätigen Mediatorinnen und Mediatoren. Der Verein bildet aus und sichert die Qualität der Mediation.
Wie es geht
Als Auftraggeber treffen die in den Projekten engagierten Bürgerinnen und Bürger alle wesentlichen Entscheidungen. So tragen sie Verantwortung für ihr Projekt und handeln selbstbestimmt in der gesellschaftlichen Situation, in der sie sich befinden.
Anlass für einen Auftrag sind in der Regel drängende Anliegen. Diese müssen zunächst gar nichts mit Kunst zu tun haben. Es kann um Probleme in sozialen Gemeinschaften gehen, um schwelende Konflikte, fehlende Sichtbarkeit relevanter Fragestellungen oder um den Wunsch nach neuen Orten der Begegnung. Vielleicht soll ein Stück Geschichte neu und anders erzählt werden, eine Person gewürdigt, ein klimagerechtes Leben befördert oder eine soziale Utopie formuliert werden. Mal sind es ganz kleine, mal große Themen, bei denen ein Auftrag beginnt.
Meist tritt eine kleine Gruppe von Menschen mit der Mediatorin oder dem Mediator einer Region in den Austausch und stellt ihr Anliegen dar. Die Mediation unterstützt dann dabei, das bürgerschaftliche Anliegen als einen Auftrag zu formulieren und wichtige Fragen zu bedenken; etwa, wer in das Projekt noch mit eingebunden sein könnte, welche Ziele realistisch erscheinen, welche künstlerischen Formen in Betracht kommen. Ist der Auftrag klar, schlägt sie eine Künstlerpersönlichkeit vor, die zu diesem Auftrag und der Auftraggebergruppe passt.
Diese wird im nächsten Schritt von der Bürgergruppe beauftragt, ein künstlerisches Konzept zu entwickeln. Moderiert wird der Dialog mit der Auftraggebergruppe von der Mediatorin oder dem Mediator. Wenn das Konzept die Auftraggebergruppe überzeugt, beginnt die Planung für die Produktion des Werkes. Überzeugt das Konzept nicht, wird es überarbeitet.
Ehe die Produktion beginnt, werden meist weitere Akteure angesprochen. Das können die Nachbarschaft, die Presse oder die Bürgermeisterin sein. Sie werden frühzeitig in das Projekt eingebunden und befördern die Umsetzung. Je nach Vorhaben müssen Gelder für die Produktion gefunden werden. Auch das ist Aufgabe der Mediatorinnen und Mediatoren. Oft spielen lokale Institutionen wie Vereine oder Verwaltungen eine tragende Rolle bei der Umsetzung.
Den Produktionsprozess begleitet die Auftraggebergruppe eng in allen Phasen. Ist die Produktion abgeschlossen, das Kunstwerk fertig, wird es öffentlich eingeweiht, uraufgeführt oder in Besitz genommen. Dabei werden die bürgerschaftlichen Auftraggebergruppen weithin sichtbar zu Hauptakteuren. Denn es ist ihr Projekt, das nun öffentlich wird. Im Projektverlauf sind sie zu Experten ihres Kunstwerkes geworden, weil sie jeden Schritt der Konzeption und Entstehung begleitet haben. Ihr Wissen vermitteln sie an die lokale Gemeinschaft weiter. Oft entsteht eine starke Identifikation mit dem Werk und mit dem, was man gemeinsam geschafft hat. Die Erfahrung der eigenen Selbstwirksamkeit stärkt nachhaltig das Selbstverständnis und auch das künftige Engagement der Auftraggeberinnen und Auftraggeber.
Wer es tun kann
Kommunen, Institutionen oder Förderer, die Auftrags- und Mediationsprozesse ermöglichen wollen, finden in der Gesellschaft der Neuen Auftraggeber die richtige Ansprechpartnerin. Die Geschäftsstelle verbindet Interessierte mit den passenden Akteuren aus diesem Netzwerk, damit sie es in Kooperation oder in eigener Regie umsetzen können.
Bürgerinnen und Bürger, die ein Projekt anstoßen wollen, können sich an die Mediatorinnen und Mediatoren in ihrer Region oder an die Gesellschaft der Neuen Auftraggeber in Berlin wenden.
Wer als Mediatorin oder Mediator im Modell der Neuen Auftraggeber aktiv werden möchte, kann sich an die Gesellschaft für Kunst und Mediation im Bürgerauftrag e. V. wenden, die als Mediatorennetzwerk in Deutschland die Aus- und Weiterbildung im Peer-to-Peer-Verfahren betreut.
Was es bringt
Kunst im Bürgerauftrag ermöglicht mehr Menschen Mitsprache bei der Gestaltung ihres gesellschaftlichen Lebensumfeldes. Die Künste gewinnen neue Relevanz und neue Handlungsmöglichkeiten, indem Kulturschaffende mit bürgerschaftlichen Initiativen zusammenarbeiten. Lokale Themen und Bedürfnisse werden gemeinsam durch ambitionierte Kunstprojekte verhandelt.
Das Modell Neue Auftraggeber stärkt demokratisches Handeln und Engagement, wie auch den sozialen Zusammenhalt. Es mobilisiert Transformationsprozesse vor Ort und trägt zur Daseinsvorsorge, zur lokalen Resilienz und zur Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse bei. Es macht Krisen und Konflikte verhandelbar und lässt dabei Stimmen hörbar werden, die vielleicht noch nicht gehört wurden. Menschen, die es erlebt haben, berichten häufig davon.
Für die Künstlerinnen und Künstler sind die Neuen Auftraggeber eine Chance, ihre Praxis auch außerhalb der bekannten und üblichen Handlungsräume anzuwenden, sich mit dem eigenen künstlerischen Denken und Handeln für konkrete zivilgesellschaftliche Anliegen einzusetzen und direkt auf bürgerschaftliche Bedarfe zu antworten.
Für Menschen aus der Kunstvermittlung bietet eine Praxis als Mediatorin oder Mediator im Modell Neue Auftraggeber ein anspruchsvolles, gut erprobtes und experimentell weit offenes Handlungsmodell mit einem innovativen Alleinstellungsmerkmal: Bürgerschaftliche Interessen und zivilgesellschaftliche Eigenverantwortung sind Ausgangspunkt und zentrale Instanz für die Produktion öffentlicher Kulturgüter.
Was es braucht
Kunst im Bürgerauftrag im Modell der Neuen Auftraggeber braucht starke Partner und Förderer. Die Mediation der bürgerschaftlichen Auftragsprojekte und deren künstlerische Realisierung muss finanziert sein. Die engagierten Initiativen von Bürgerinnen und Bürgern benötigen Rückhalt und politische Unterstützung in Kommunen, in den Ländern und im Bund. Aber auch die wissenschaftliche Betrachtung der Projekte und ihre Evaluation sind nötig, um sie in größere komplexe Zusammenhänge einzuordnen und ihre Wirksamkeit und Nachhaltigkeit verständlich zu machen.