Die Neuen Auftraggeber
von Tours, Frankreich
Julien Celdran, Sandwich Sound System, 2011, Tours, France
Les Nouveaux Commanditaires
Sandwich Sound System
Auftraggeber: Radouane Nidam, ein Händler und Bewohner von Sanitas-Verbänden,
Mediator: Éric Foucault (Eternal Network),
Künstler: Julian Celdran,
Hauptförderer: Fondation de France, Suivi du projet (BG RILE Touraine, Service d’Amorçage de Projet),
Zeitraum: - – 2011
Julien Celdran, Sandwich Sound System, 2011, Tours, France
Les Nouveaux Commanditaires
Julien Celdran, Sandwich Sound System, 2011, Tours, France
Les Nouveaux Commanditaires
Radouane Nidam wuchs in Sanitas auf, einem Arbeiterviertel von Tours, und hatte es nicht immer leicht. Für seinen Einstieg in die Arbeitswelt wünschte er sich seine eigene mobile Sandwichbar. Er bekam Starthilfe von einem Vermittler des Service d’Amorçage de Projet (BG RILE Touraine, einer Einrichtung, die Geschäftsgründern zur Seite steht), der ihn nach dem Business-Incubator-Prinzip drei Monate lang finanziell beaufsichtigte, und einem Mitglied des Stadtparlaments, Mohamed Moulay. Nidam kaufte einen Transporter und servierte ab Juli 2010 im Herzen seines Viertels Sandwiches. Die Regionalverwaltung half ihm außerdem bei der Anschaffung der Betriebsmittel; die Stadt Tours unterstützte ihn bei der Auswahl eines geeigneten Standorts. Von Juli bis Dezember 2010 erhielt Nidam eine Genehmigung, jeden Tag zu festgelegten Zeiten seine Waren zu verkaufen. Als im Januar 2011 die Arbeiten für eine neue Straßenbahnlinie begannen, hoffte Nidam, sein Geschäft an einem neuen Standort weiterzuführen, und beantragte eine entsprechende Genehmigung. Er wünschte sich einen Ort in der Nähe einer Schule oder Universität. Für den Vermittler des Service d’Amorçage de Projet war Nidam ein Beispiel für eine Initiative, auf die er stolz war: Er hatte einem jungen Menschen in einer schwierigen Lebenslage geholfen, sich selbständig zu machen, nach drei Monaten wurde das Geschäft langsam profitabel und auf Dauer würde Nidam auf eigenen Beinen stehen. Im Rahmen der künstlerischen Projekte, die Eternal Network, eine gemeinnützige Organisation in Sanitas, anstoßen wollte, wurde Moulay eine engere Auswahl von Künstlern vorgelegt. Als er von Julien Celdrans Herangehensweise erfuhr, dachte Moulay, dass eine grafische Intervention von Celdran Nidams Sandwichbar symbolisch, ästhetisch und kommunikativ aufwerten könnte. Eternal Network war an dem Vorschlag interessiert und bot Nidam an, auf dem Weg eines Neue-Auftraggeber-Projekts sein Fahrzeug künstlerisch gestalten zu lassen.
Als der Auftrag erteilt wurde, war die Sandwichbar ein 3 Meter langer Anhänger, sozusagen eine kleine mobile Pizzeria, mit einem Fenster und einer Art Tresen auf einer Seite. Das Fahrzeug war rundum weiß, mit einfachen Aufklebern, die Sandwiches darstellten, und einer Speisekarte mit Preisen. Nidam wollte eine künstlerische Intervention, die das Fahrzeug ästhetisch und symbolisch aufwerten würde; ein Werk, das es – abgesehen von seinem kommunikativen Nutzen – personalisieren, seine Rolle als Arbeitsmittel wie Ausdruck seiner Individualität signalisieren würde. Nidam wies darauf hin, dass das kleine Fahrzeug für einige junge Leute im Viertel und vor allem für Mitglieder seiner eigenen Generation zu einer identitätsstiftenden Anlaufstelle geworden sei; es gehöre seinen Kunden ebenso sehr wie ihm selbst. Die grafische Überarbeitung solle sich auf Sanitas beziehen und seinem Fahrzeug Persönlichkeit verleihen. Im Übrigen wolle er keinen Einfluss auf den Auftrag nehmen und auf einer Basis gegenseitigen Vertrauens Celdran freie Hand geben. Inzwischen hat Nidam zudem ein zweites, größeres Fahrzeug erworben, ein Mittelding zwischen Lieferwagen und Gemüsehändlerstand. Es wird zur Zeit repariert und er möchte es neben der kleinen Sandwichbar als zweites Standbein betreiben. Auch für dieses Fahrzeug hat Celdran eine grafische Intervention entworfen. Eternal Network wird Nidams Auftrag mit einem Projekt im selben Viertel (ohne Beteiligung der Neuen Auftraggeber) verknüpfen, ebenfalls in Zusammenarbeit mit Celdran, der das große Spiegelglasfenster des Gemeindezentrums von Sanitas verschönern wird.
Celdran überzog die vier Seiten des Anhängers mit einer Komposition auf selbstklebendem Vinyl. Die Darstellung inszeniert in einer Stadtlandschaft, in der Gebäude als Lautsprecher erscheinen, eine ein wenig gewagte Begegnung: zwischen Delacroix’ Allegorie der Freiheit, die das Volk führt, und dem gekrönten Löwen, dem Symbol von Haile Selassies Thron, das die Rastafari-Bewegung sich zueigen gemacht hatte. Die Kombination dieser scheinbar disparaten Figuren sendet ein unmissverständliches Signal. Als volkstümliche Embleme der Wiederaneignung des öffentlichen (und folglich auch des politischen) Raums erinnern sie daran, dass Freiheit und ihr Gebrauch ein immer wieder neu zu erkämpfendes Gut sind. Der Bezug zwischen ihnen ist deutlich: Das Erbe der Dekolonisierung trifft auf den Beginn der Republik und damit der Gleichheit zwischen Menschen und Völkern. Die Vertauschung der Farben der französischen und äthiopischen Fahnen unterstreicht diese Verknüpfung von Zeichen zusätzlich. Als Sinnbild für Dialog und friedliches Zusammenleben bringt die Darstellung treffend Nidams Vorstellung von französischer Identität zum Ausdruck. Celdrans Werk ist bewusst verwirrend angelegt, mit einer Überfülle ineinander verwobener grafischer Symbole – dekorative Motive aus der arabischen Welt gehen in Darstellungen von Sandwiches über. Das Fahrzeug, das für Nidams Identität steht, spiegelt auch unsere Gesellschaft wider, in der Menschen aus verschiedenen Kulturen und verschiedener sozialer Herkunft zusammenkommen.
ProjektarchivListeKarte
Results
Beispiele aus mehr als 500 internationalen Projekten
Die Neuen Auftraggeber
von Tours

Die Neuen Auftraggeber
von Blessey

Die Neuen Auftraggeber
von Trébédan

Die Neuen Auftraggeber
von Bifolone

Die Neuen Auftraggeber
von Paris

Die Neuen Auftraggeber
von Schwarzheide / Lauchhammer

Die Neuen Auftraggeber
von Sauen
